Automatisierung auf Schiffen – warum müssen wir uns darüber Sorgen machen?

Digitalisierung verändert die Welt. Welchen Nutzen Automatisierung hat, zeigt sich erst, wenn die neuen Technologien Anwendung finden. Die Schifffahrt bildet da keine Ausnahme.

Fast 90 Prozent des Welthandels werden auf dem Seeweg abgewickelt. Deshalb ist es unmöglich, die Schifffahrt von der Digitalisierung abzukoppeln. Seit mehr als 200 Jahren erlebt der maritime Sektor die Einführung neuer Technologien, etwa den Übergang von Wind- zu Dampfkraft, von Dampf zu Diesel, von Kohle zu Öl und von Öl zu schadstoffarmen Kraftstoffen, aber auch die Einführung von Radar sowie des elektronischen Seekarten- und Informationssystems (ECDIS). Schiffsbrücken mit traditionellem Holzsteuerrad gibt es nur noch in Filmen.

Im internationalen Handel müssen eine Reihe von Zertifikaten und Daten übermittelt werden. So braucht ein Schiff beispielsweise eine geeignete Zertifizierung für die Ladung und die Seeleute an Bord. Auch Verwaltungsunternehmen, Reeder, Bemannungsagenturen, Gewerkschaften und die Verwaltungsbehörden von Flaggenstaaten sind verpflichtet, den Beteiligten entsprechende Informationen zu überlassen. Der digitalisierte und automatisierte Datenaustausch soll den Verwaltungsaufwand verringern.

Andererseits sind alle von Seeleuten übernommenen Aufgaben, Wachdienste sowie sonstige physische und psychische Arbeit an Bord aufgrund der speziellen Umgebung auf Schiffen die Ursache für die Übermüdung von Besatzungsmitgliedern. Die Verbesserung der Arbeits- und Lebensumstände von Seeleuten kann also einen großen Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit leisten. Hersteller versuchen automatisierte Abläufe auf Schiffen zu entwickeln, damit die physische und mentale Belastung von Seeleuten sinkt und die Arbeitsleistung steigt.

Schiffe sind ebenso automatisiert wie andere Einheiten in der Verkehrswirtschaft. Aber die Hersteller im maritimen Sektor wollen die Automatisierung und Digitalisierung auf Schiffen vorantreiben. Tatsächlich stehen neue Technologien kurz vor der Anwendung. Aufgrund der Bedeutung des Schiffsverkehrs für den internationalen Handel und die Weltwirtschaft aber dürfen Gesetzgeber, Reeder, Verwaltungsunternehmen, Gewerkschaften und Seeleute technologische Neuerungen nicht übereilt einführen.

In den letzten Jahren hat man im Sektor über unbemannte Schiffe zu diskutieren begonnen. Dabei handelt es sich um Schiffe, die ohne Zutun von Menschen an Bord betrieben werden. Ziel ist es, die Luftverschmutzung durch den Einsatz sauberer Kraftstoffe zu verringern, das maritime Leben vor Unfällen zu bewahren, Schiffe und Ladungen durch hoch verschlüsselte Datenaustauschsysteme zu schützen und die Liege- und Umschlagszeit in Häfen zur Zufriedenheit der Kunden zu minimieren. Digitalisierung und Automatisierung spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Einige internationale Technologiefirmen haben angekündigt, vollständig autonom fahrende Schiffe bauen zu wollen, die auf internationalen Routen ohne menschliches Zutun fahren. Zwar sind unbemannte Schiffe nicht das endgültige Ziel, doch hat die weltweit größte Reederei, der dänische Konzern Maersk, kürzlich mit IBM ein gemeinsames Projektteam zur Entwicklung und Integration künstlicher Intelligenzsysteme für den Schiffsverkehr eingerichtet. Die britische Regierung hat gemäß diesem Szenario entsprechende Gesetzesänderungen vorangetrieben. China hat die Einrichtung des weltweit größten Testareals für unbemannte Schiffe vor dem südchinesischen Hafen Zhuhai Anfang 2018 angekündigt. Überdies hat das Land mit der Erforschung und Entwicklung von Technologien für unbemannte Schiffe begonnen. Die USA haben vollständig autonome Systeme in Schiffen der Navy eingeführt und führen gerade eine gründliche Analyse ihrer Einsatztauglichkeit in der gewerblichen Schifffahrt durch. Japan und Südkorea haben Arbeitsgruppen für die Entwicklung unbemannter Schiffe mit Schwerpunkt auf der technischen Anwendbarkeit und den Folgen des Fehlens menschlicher Steuerung eingerichtet. Darüber hinaus gibt es jedoch noch viele weitere Länder und Akteure, die ähnliche Projekte realisieren. Das Zeitalter der Automatisierung und Digitalisierung hat begonnen, ganz gleich, ob es sich um völlig unbemannte Schiffe oder Teilautomatisierung handelt.

Automatisierung und Digitalisierung werden im Schifffahrtsektor nach und nach eingeführt. Der Sektor hat die möglichen Gefahren erkannt und führt eine umfassende internationale Vorstudie durch, um irreversible Folgen zu vermeiden. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) hat 2017 auf der 98. Sitzung des Schifffahrtssicherheitsausschusses eine “Regulatory Scoping Exercise on Marine Autonomous Surface Ship (MASS)” verabschiedet und eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Bislang hat die Organisation sich auf eine Definition von Autonomiestufen geeinigt: 1) Schiffe mit automatisierten Prozessen und Entscheidungsunterstützung, 2) ferngesteuerte Schiffe mit Seeleuten an Bord, 3) ferngesteuerte Schiffe ohne Seeleute an Bord und 4) völlig autonom fahrende Schiffe.

Wie in anderen Sektoren erfordert die Umsetzung neuer Technologien die Änderung bestehender bzw. Einführung neuer Regulierungen durch Staat und Behörden. Da die Schifffahrt eine internationale Angelegenheit ist, setzen solche Änderungen eine komplexe politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Matrix voraus. Darüber hinaus ist Internetkriminalität ungeachtet von Grenzen oder Wirtschaftssektoren eine immer stärkere Bedrohung in der Welt. Eine Übernahme der Informations- und Kommunikationstechnik erfordert daher ein extrem hohes Sicherheitsniveau. Auch sind Investitionen in neue Technologien und deren Umsetzung sehr kostspielig, was den Einsatz der Technologie begrenzt.

Von Seeleuten wird erwartet, dass sie sich an diese Veränderungen anpassen. Seeleute befürworten Digitalisierung, wenn sie ihre Sicherheit erhöht. Aus historischer Sicht aber hat die technologische Weiterentwicklung immer auch eine angemessene Ausbildung der Seeleute nötig gemacht. Seeleute mussten immer mit Problemen rechnen – manchmal waren das Schadstoffbelastungen oder tödliche Unfälle. Bisweilen wurde ihnen sogar die Schuld zugeschoben oder sie wurden kriminalisiert. Heute sind Seeleute diejenigen, die sich um mögliche Unsicherheitsfaktoren sorgen. Verdienen sie, die 90 Prozent des Welthandels abwickeln, diese Ängste? Seeleute müssen wissen, was passiert. Und wir, die ITF, müssen sie und unsere angeschlossenen Gewerkschaften informieren und unterstützen, wenn es um die Veränderungen geht, die in der Zukunft auf sie warten.